Orgel
Warum steht die Orgel im Chorraum und nicht auf der Empore? Ausgangspunkt für solche Überlegungen ist das Orgelverbot Zwinglis, welches im Kanton Appenzell Ausserrhoden lange Zeit relativ streng eingehalten wurde. Ein Vorsänger  leitete  während mehr als 300 Jahren den Kirchengesang. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts aber war es dann soweit, dass viele Gemeinden im Kanton eine Orgel beschafften. So wurde 1893 – vor 125 Jahren – auch in der Kirche Stein die erste Orgel eingeweiht, erbaut von der heute noch aktiven Firma Kuhn in Männedorf.
Sie besass 16 Register auf zwei Manualen und Pedal. Eine Aufstellung im Chorraum (Chor) war damals in reformierten Kirchen nicht ungewöhnlich. Gottesdienste und andere Anlässe waren nicht selten gut besucht. Jeder Platz im Schiff und auch auf der Empore wurde in diesen Fällen für die Besucher benötigt. Der für die reformierte Liturgie nicht erforderliche Chor dagegen stand leer und bot sich für die Aufstellung einer Orgel geradezu an. Diese Position ist aus klanglichen Gründen optimal und hat zudem den Vorteil, dass sich die Orgel bei Gottesdiensten in kleinerem Rahmen in der Nähe der versammelten Gemeinde befindet.



Die erste Orgel, welche im Chor einen grossen Teil des Platzes in Anspruch nahm, diente der Kirchgemeinde rund 90 Jahre. Für die 1983 durchgeführte Innenrenovation konnte sie wegen der Erneuerung des Bodenbelages nicht in der Kirche verbleiben. Es stellte sich die Frage, ob ein Wiedereinbau möglich und sinnvoll sei oder ob ein Neubau besser wäre.

Sorgfältige Abklärungen führten zur zweiten Lösung. Gründe dafür waren vor allem die störungsanfällig gewordene Spielanlage sowie der einseitig deutsch-hochromantische Klang. Ausserdem bestand schon lange der Wunsch, mindestens einen grösseren Teil des Chores zur freien Verfügung zu haben. Weil moderne Orgeln viel kompakter gebaut werden und keine grossen Blasbälge mehr benötigen, konnte dieser Anforderung ohne weiteres entsprochen werden.

Für eine Orgel ist es ideal, wenn die musikalische und äussere Gestaltung übereinstimmen. Ausserdem soll sie den Gegebenheiten des Raumes möglichst gut angepasst sein. So entstand die Idee, sich an einem passenden historischen Vorbild zu orientieren. Jakob und Hans Ulrich Grubenmann von Teufen hatten die Kirche im Jahre 1749 erbaut, Enoch Breitenmoser und Gebhard Moosbrugger 1832 den Innenraum umgestaltet. Wäre ein Orgeleinbau um 1830 in Frage gekommen, hätte man damals vielleicht den in unserer Gegend bekanntesten Orgelbauer Franz Anton Kiene aus Langenargen am Bodensee damit beauftragt. Eine seiner wichtigsten Orgeln kann auch heute noch in der Kathedrale St.Gallen bewundert werden.

So baute die Firma Kuhn 1985 eine neue Orgel mit 20 Registern auf zwei Manualen und Pedal, keine Kiene-Kopie, sondern ein modernes Instrument mit vielen  Kiene-Zitaten, sowohl in der äusseren Gestaltung als auch im Klang. Leider kann hier nicht auf die vielen Details eingegangen werden. Beispielhaft sei nur auf den typischen Klangaufbau mit grossem Hauptwerk, kleinem Positiv-Oberwerk und grundtönigem Pedalwerk hingewiesen. Am Prospekt (der Schauseite) mit seinen beiden Harfenfeldern ist Kienes Stil auf den ersten Blick erkennbar. Sein zurückhaltender, singender, frühromanischer Klang eignet sich ausgezeichnet für die liturgischen Anforderungen. Zwei Register, die nicht zum Kiene-Bestand gehören, Octave 2'' und Mixtur 3f. 1⅓'', erweitern das Ensemble für das unentbehrliche barocke und frühbarocke Spektrum. Auch neuzeitliche Musik lässt sich gültig realisieren.

Mehr als 30 Jahre erfüllt die zweite Orgel nun schon die an sie gestellten Erwartungen. Für andere Orgel-Neubauten hat sie wichtige Anregungen vermittelt. Es bleibt zu hoffen, dass sie als eine in sich geschlossene «Persönlichkeit» noch lange die Gottesdienste bereichern und viel Freude bereiten wird.

Hansjörg Gerig

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