Abendmahlstisch aus Eichenholz
Der grosse Abendmahlstisch steht erst seit der Innenrenovation von 1983 in unserer Kirche. Früher waren zentral stehende grosse Tische in reformierten Kirchen nicht üblich. Es gab auch keine Notwendigkeit für einen ständig vorhandenen Tisch, da das Abendmahl vielerorts nur vier-­‐ oder fünfmal im Jahr gefeiert wird. Kommt hinzu, dass die Verkündigung des Evangeliums das Hauptelement des reformierten Gottesdienstes bildet.

engel (zip)

Bei Bedarf hat man entweder den Taufstein als Abendmahlstisch verwendet oder einen Tisch hinzugestellt. Entsprechend werden  in der ältesten Appenzeller Kirchenordnung von 1659 die Kirchenbehörden angewiesen, am Tag des heiligen Abendmahls «den Tisch des Herrn» an den jeweils geeignetsten Ort in der Kirche zu stellen. Ganz anders in der katholischen Kirche. Da bildet der «Altar» den Mittelpunkt der sonntäglichen Eucharistiefeier.

Aus den früheren KIVO-­Protokollen (KIVO = Kirchenvorsteherschaft) geht nicht hervor, was der Beweggrund war, einen grossen Abendmahlstisch anzuschaffen. Möglicherweise waren neuere Entwicklungen in der Gottesdienstpraxis aussschlaggebend. Feststellen lässt sich einzig, dass der damals die Renovation begleitende Architekt Kurt Schläpfer von Herisau der zuständigen Baukommission im August 1983 die Skizze eines Tisches vorlegte. Die Kommission beauftragte daraufhin den Bildhauer Johann Ulrich Steiger (1920–2008) von Flawil einen Entwurf auszuarbeiten. Auflage war, dass der neue Tisch auf die Chorstühle abgestimmt sei. Ausserdem fand die Kommission: «Symbole oder Worte könnten den einfachen Abendmahlstisch bereichern». Im November präsentierte Bildhauer Steiger ein von ihm hergestellte Modell. Sein Entwurf wurde gut aufgenommen; insbesondere gefielen der Kommission die Evangelisten-­Symbole – Mensch, Löwe, Stier und Adler –­ als Verzierung an den vier Seiten: «Weisen sie doch im besonderen auf das Predigtwort hin.» In der traditionellen Bildsprache stehen der Mensch für das Matthäusevangelium, der Löwe für das Markusevangelium, der Stier für das Lukasevangelium und der Adler für das Johannesevangelium.

Diese Zuordnung geht auf die Kirchenväter des 3. und 4. Jahrhunderts n. Chr. zurück. Für sie waren die in den zwei Bibelstellen Hesekiel 1,10 und Offenbarung 4,7 genannten vier Wesen Löwe, Mensch, Stier und Adler verdeckte Hinweise auf Christus; denn Christus sei, um ein Beispiel zu nennen, majestätisch wie ein Löwe. Zum andern sahen die Kirchenväter auch eine Verbindung der vier Wesen zum Inhalt der vier Evangelien. Das Matthäusevangelium beginne mit dem Stammbaum von Jesus und habe deshalb einen Bezug zum Wesen Mensch oder die hohe Geistigkeit des Johannesevangeliums erinnere an den Adler, der sich mit seinen Flügeln in höhere Sphären aufschwinge.

Auch wenn uns diese Deutung heute etwas «abenteuerlich» erscheint, so hat sie doch in der Kunst und im Kirchenbau ihre unübersehbare Spur hinterlassen: Überall wo die vier symbolischen Wesen auftauchen, stehen sie für die vier Evangelien und ihre Botschaft. So passt es im Grunde ganz gut, wenn heute meistens vom Tisch aus gepredigt wird.

Noch ein Wort zum Künstler. Johann Ulrich Steiger wurde in Appenzell geboren; er entstammt einer gemischt-­konfessionellen Familie. Seine Taufe fand – nach einigem Hin-­ und Her –­ in der Evangelischen Kirche von Appenzell statt. Als er fünf Jahre alt war, übersiedelte die Familie nach Flawil, wo sie das Bürgerrecht besass. Steiger liess sich in St.Gallen und Zürich zum Bildhauer ausbilden und besuchte in Zürich auch die Kunstgewerbeschule. 1940 eröffnete er in Flawil seine eigene Werkstatt. In der Folge entwickelte er sich zum frei schaffenden Bildhauer, Maler und Graphiker. Im Appenzellerland finden sich zahlreiche Werke vom ehemals weit herum bekannten Künstler; etwa die Brunnenfigur «freier Appenzeller» auf dem Landsgemeindeplatz in Appenzell oder der Silvesterklaus-­Brunnen in Urnäsch. Auch in vielen Kirchen – reformierten und katholischen – sowie in andern öffentlichen Gebäuden sind seine Werke zu finden.
Irina Bossart

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